Der 4. Mai 2008 sollte in die Annalen unseres Vereins eingehen. SG EN – Süd: Verbandspokalsieger im Schachverband Südwestfalen. So hätten wir uns nennen können. Und die starken Schachclubs in NRW mit großen Namen warteten schon auf uns. Aber dann kam alles ganz anders ...
Nach dem Bezirkspokalfinale, das bekanntlich mit 2,5:1,5 an uns ging, war es innerhalb von wenigen Wochen das zweite Kräftemessen mit dem NRW – Klassen –Team von der Volme. Obwohl diesmal an der Ruhr gespielt wurde, nämlich im nobelsten Spiellokal des Bezirks, dem Bürgerhaus in Wetter. Die Königsspringer schienen am Pott echt interessiert zu sein. Mit Helge Hintze, Peter Osthoff, Bertram Kind und Maik Naundorf hatten sie ein mehr als schlagkräftiges Quartett aufgeboten.
Ich musste gegen Peter spielen. Das letzte Match ging an mich, allerdings hatte ich damals Weiß. Ansonsten fiel mir spontan eine Partie von Peter gegen Manfred Reichelt ein, die vor einigen Jahren lief und die ich so nebenbei mitbekommen hatte. Peter stand damals bei beiderseitiger Zeitnot ziemlich am Abgrund. Eigentlich hätte er bei der richtigen Fortsetzung seines Gegners aufgeben können. Aber davon hat bekanntlich noch keiner gewonnen. Sein Kampfeswille wurde schließlich noch belohnt, da Manfred patzte. Mir war klar, dass es sicherlich ein enges Match werden würde.
Stefan hatte sich gewissenhaft auf seine Partie gegen Helge vorbereiten können. Es war klar, dass wieder ein „frischer Franzose“ aufs Brett kommen würde. Die Partie im Bezirkspokalfinale hatte Stefan wie aus einem Guss gespielt, und so war es nicht verwunderlich, dass er wieder dieselbe Variante spielte. Helge hatte sich die Partie offensichtlich auch noch einmal angesehen und eine Verbesserung für sich gefunden. Die beiden schienen sich bestens in der Theorie auszukennen. Stefan erhielt für die geopferte Qualität einen Riesen – Freibauern und gutes Spiel. Er nutzte schließlich die Gelegenheit, in ein Dauerschach abzuwickeln. Zweimal gegen Helge zu spielen und nicht zu verlieren – das nötigt allerhöchsten Respekt ab.
Während sich die Herren vom 1. Brett verabschiedeten, um draußen die Sonne zu genießen oder ihre Partie zu analysieren, rauchten an den anderen Brettern weiter die Köpfe. Michael Cripps besaß zwar gegen Bertram das Läuferpaar, hatte dafür allerdings einen etwas ramponierten Damenflügel. Die Figuren hatten sich aber eher dem Königsflügel zugewandt, so dass dieser Umstand nicht ins Gewicht fiel. Als ich beim nächsten Mal dort aufs Brett schaute, hatte Michael seine Läufer glänzend in Position gebracht und einen Bauern erobert. Bertram hatte etwas Zeitnot, was mir persönlich sehr bekannt vorkam, und sah das Unheil in Form von Michaels Freibauern auf der e – Linie auf sich zukommen. Tatsächlich brachte der Farmer die Entscheidung zu seinen Gunsten.
In diesem Moment dachte ich: Das ist der Pokaltriumph. Entweder ein Remis bei mir oder ein Sieg bei Michael Drzasga am 4. Brett, oder beide Partien remis – das muss allemal drin sein. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade innerhalb der Zeitkontrolle meinen 40. Zug geschafft und konnte einen Bauern, der mir zwischenzeitlich abhanden gekommen war, mit besserer Stellung zurück gewinnen. Zugegeben: Nachdem ich ganz vernünftig aus der Eröffnung gekommen war, hatte ich mal wieder mehrere Pläne im Kopf und mich glatt für den falschen entschieden. Bei konsequentem Spiel hätte Peter mit seinem Mehrbauern klar besser gestanden. Na ja, dachte ich mir: Glück gehört halt auch dazu. Jetzt hatte ich wieder eine ganze Stunde Bedenkzeit vor Augen, Peter etwa 20 – 30 Minuten mehr – aber wen interessierte das schon. Wir befanden uns ja schon in einem Doppelturm – Springer – Bauernendspiel. Das zockt man sonst im Blitzen locker runter – kein Grund zur Sorge also.
Michael Drzasga befand sich wohl auch im Wellenbad der Gefühle. Gegen die Caro – Kann – Verteidigung von Maik hatte er aus der Eröffnung heraus recht passabel gespielt, für meine Begriffe dann allerdings unnötigerweise die Damen getauscht, um anschließendseine Kavallerie in Position zu bringen. Als er seine Bauern etwas sorglos nach vorne schickte und Maik zu ordentlichen Galoppsprüngen ansetzte, dachte ich, dass ich wohl den halben Punkt holen müsste. Ein 2:2 mit
besserer Berliner Wertung (Brett 3 gewinnt, Brett 4 verliert) für uns –so könnte es kommen. Aber Maik fand nicht die optimale Fortsetzung, so dass Michael sich wieder ordentlich positionieren konnte. Nach einem Turmtausch war nicht mehr viel los. Maik bot „remis“ an. Da Michael reichlich Zeit hatte, verschaffte er sich erst einmal einen Überblick an unserem Brett. Irgendwann willigte er in die Remisofferte ein. Aus seiner Sicht gab es auch keinen Grund, auf Gewinn zu spielen. Vielleicht machte er sich ein paar Gedanken über die verbleibende Zeit auf meinem Wecker. Ich hatte bestimmt noch 5 Minuten, sozusagen eine Ewigkeit!
Meine Stellung war zu diesem Zeitpunkt klar gewonnen (laut Fritz: 2,4 für Schwarz). Peters König klebte am Brettrand und konnte nur mit ansehen, was sich am anderen Ende des Brettes abspielte. Sein Turm widmete sich gerade liebevoll meinem h – Bauern. Na ja, ich hatte seinen auch aufs Korn genommen. Ein Abtausch schien mir zu wenig. Lieber wollte ich meinen eigenen gar nicht hergeben. Offenbar hatte mich dann Mitleid mit seinem Monarchen und ließ ihn wieder mitspielen. Mir war nämlich in den Sinn gekommen, seinen Springer auf schlechtere Felder zu bringen. Da hatte ich wohl Gespenster gesehen. Dann stand ich vor der nächsten Entscheidung. Welchen Bauern schnappe ich mir? Den h- oder doch lieber den f – Bauern. Eigentlich störte ja der f – Bauer und irgendwie kommt Peter dann mit seinem König noch unangenehm nah an meinen. Zusammen mit seinem Turm spinnt er doch tatsächlich ein Mattnetz – oder? Ach – egal: Weg mit dem h – Bauern. Was ich hab, das hab ich! Ärger: Kaum was auf´ m Brett – und trotzdem droht Peter mit Matt. Da hilft nichts. Mein Springer muss sich opfern. Doch was soll's? Drei Freibauern und Turm gegen Turm und Springer. Außerdem steht sein King schlecht. Das dürfte allemal zu schaffen sein. Wenn da bloß die Uhr nicht so laut und schnell ticken würde. Auch das noch – mir fällt nichts Gescheites mehr ein. Jetzt pflückt er mir einen Bauern ab, und wenig später schon den nächsten. Dafür steht sein Springer auf einmal völlig im Regen. Das bemerkt Peter auch und murmelt etwas wie: so ein Patzer. Aber dann kommt wieder der Kämpfer in ihm durch und ich höre Ähnliches wie: „Der geht ja grade noch!“ und zieht seinen Springer auf das Feld diagonal von seinem König. Der Zug verblüfft mich. Wieso geht der denn noch. Ich geb´ schnell ein Schach – natürlich von der falschen Seite. Statt seinem Galopper den Garaus zu machen, lasse ich ihn entkommen. Jetzt muss es halt der g – Bauer noch richten. Aber wie? Gleich ist high – noon angesagt. Meine verbliebene Restzeit beträgt nicht einmal mehr 1 Minute. In meiner Verzweiflung greife ich nach dem Strohhalm. Gibt´ s da nicht den § 10.2? Genau! Wie soll Peter das Endspiel Turm und Springer gegen Turm und Bauern gewinnen? Also Reklamation! Leider kannte ich mich, obwohl ich Mannschaftsführer bin, mit dem Regelwerk nicht sonderlich gut aus. Mittlerweile bin ich, dank Helge, etwas schlauer. Wir setzten die Partie nach Spontanbildung eines Schiedsgerichts fort. Nach mehr als 5 1/2 Stunden Spielzeit waren meine Nerven leider etwas runter und so opferte ich meinen Turm gegen den Springer. Die neue Dame hatte ich schon zur Hand – dabei blieb es allerdings auch. Wenig später kam der Gong und Peter reklamierte folgerichtig.
Stefan und der doppelte Michael konnten den Sekt den sie – glaube ich – schon kalt gestellt hatten, wieder wegpacken. 2:1 für uns und meine Reklamation, die, so mein Gefühl, nicht mehr Wert war als ein Pfifferling. Wahrscheinlich war es egal, ob Fritz die Stellung völlig ausgeglichen bewertete. Ich hätte wohl schneller denken und noch schneller ziehen müssen. Statt den Königsspringern artig zu gratulieren und die Niederlage einzugestehen, setzte ich meine unbegründeten Hoffnungen auf Kai Lück. Auch wenn´ s weh tat: Seine Entscheidung, meine Reklamation abzulehnen, war völlig in Ordnung. Den § 10.2 kann man an dieser Stelle beim besten Willen nicht heranziehen.
Da die Entscheidung über den Titelgewinn offiziell nicht am Spieltag gefallen ist, ist nun nachzuholen, was eigentlich schon am Sonntag fällig war:
Im Namen meines Teams, das sich mächtig ins Zeug gelegt hat, um den Titel in den EN – Südkreis zu holen, gratuliere ich Helge, Peter, Bertram und Maik ganz herzlich zum Gewinn des Verbandspokals. Viel Erfolg im weiteren Wettbewerb!
Norbert Bruchmann